Der Gegensatz könnte kaum größer sein: Für seine schrecklichen Verwandten ist Harry nur ein Nichtsnutz, für den der Schrank unter der Treppe als Zimmer gerade gut genug ist. Nun erfährt Harry nach elf Jahren von einer anderen Welt. Einer Welt, in der er sogar eine Berühmtheit ist! Plötzlich wird er nicht mehr als Last empfunden, sondern findet Anerkennung und Freunde. Weil uns am Anfang des Films gezeigt wird, wie schlecht Harry bisher behandelt wurde, können wir uns ganz besonders stark über die glückliche Wendung in seinem Leben freuen. Außerdem wünscht sich bestimmt jeder ab und zu mal, ein bisschen zaubern zu können. Vor allem auf einem Besen zu fliegen muss wirklich aufregend sein!
Da für Harry die Welt der Zauberer neu ist, muss ihm erst einmal alles gezeigt und erklärt werden – das ist ein toller Trick, um auch uns Zuschauern nach und nach die magische Welt zu zeigen. Neben Harry, Ron und Hermine ist die Schule Hogwarts so etwas wie ein vierter Hauptdarsteller: In vielen Szenen bekommen wir Zeit, uns in den Bildern umzuschauen und zu staunen. Das Filmteam hat die schwierige Aufgabe, die vielen Ideen aus der Buchvorlage in Bilder umzusetzen, sehr gut gemeistert, auch wenn nicht alle Computeranimationen aus heutiger Sicht überzeugen. Und trotz aller Begeisterung und trotz des Staunens reißen wir die Augen vielleicht nicht ganz so weit auf wie der Darsteller von Harry – sein Schauspiel ist oft ganz schön übertrieben, und auch bei der Musik hätte man nicht immer so dick auftragen müssen.
Die Altersfreigaben der FSK - das ist Ihnen sicher bekannt - dienen dem Schutz von Kindern und Jugendlichen und sollen gewährleisten, dass diese durch Filme nicht in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden. Die Freigaben sind allerdings nicht mit pädagogischen Altersempfehlungen zu verwechseln, die - wie in diesem Fall - durchaus nach oben abweichen können. Das liegt daran, dass bei Empfehlungen feiner differenziert werden kann als bei den vier Einstufungen der FSK. Dennoch hat auch diese feiner abgestufte Empfehlung nur orientierenden Charakter, da interindividuelle Unterschiede bei der Medienrezeption eine große Rolle spielen können. Letztlich können Sie Ihr Kind am besten einschätzen - die Elterninfo soll Ihnen helfen, auch den Film einzuschätzen.
Dass wir die Sichtung der ersten Harry-Potter-Verfilmung erst ab einem Alter von 8 Jahren nahe legen, hängt mit der kognitiven Entwicklung von Kindern zusammen, die sich darauf auswirkt, welche Ängste in einem bestimmten Alter typisch sind. Patti M. Valkenburg, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität in Amsterdam, hat die Forschungsergebnisse in diesem Bereich anschaulich zusammengefasst.
So weiß man, dass Kinder zwar schon im Alter von 3 oder 4 Jahren beginnen, zwischen Phantasie und Realität zu unterscheiden. Wenn sie aber ängstigende fiktionale Medienprodukte sehen, sind sie erst ab einem Alter von 7 Jahren zunehmend dazu in der Lage, die Informationen über den Realitätsstatus eines Medienprodukts eigenständig zu nutzen. Mit der größeren Fähigkeit, zwischen Phantasie und Realität zu unterscheiden, geht auch die Veränderung typischer Ängste einher: Während die Angst vor „Monstern“, also Phantasiewesen, schnell zurückgeht, steigt die Angst vor realistischen Bedrohungen. Vor diesem Hintergrund ist sicher verständlich, dass wir trotz der FSK-Freigabe ab 6 Jahren für den Film „Harry Potter und der Stein der Weisen“ eine Empfehlung ab 8 Jahren aussprechen. Vor allem Monster wie der dreiköpfige Hund „Fluffy“ und das erste Zusammentreffen mit Lord Voldemort könnten für jüngere Kinder zu ängstigend sein. Auch wenn 8-Jährige diese Szenen sicher ebenfalls „zum Fürchten“ finden, können sie die Geschichte doch eindeutig ins Reich der Phantasie einordnen.
Insgesamt sind gruselige Szenen im ersten Teil der Harry-Potter-Verfilmungen noch vergleichsweise rar gesät. Der Fokus des Films liegt auf der Entdeckung der „magischen Welt“ und der ungeahnten Fähigkeiten Harrys, sowie auf der beginnenden Freundschaft Harrys zu Hermine und Ron. Die Betonung des Glücks, das Harry erlebt, der in seinem bisherigen Leben in liebloser Umgebung aufwuchs und keine Freundschaft kannte, sowie sein freudiges Staunen dominieren über die bedrohlicheren Szenen des Films. So wird nach der nervenaufreibenden Begegnung mit Voldemort darauf geachtet, mit positiven Szenen anzuschließen und dem glücklichen Ende einen großen Raum zu geben: Ausgiebig werden Harry und seine Freunde für ihren Mut gefeiert. Trotz der (mit)erlebten Schrecken entlässt der Film derart mit einem bestärkenden, zuversichtlichen Grundgefühl. Aufgrund dieser ausgleichenden Passagen rechtfertigt sich auch die Länge des Films, die für die geringere Aufmerksamkeitsspanne von Kindern sicherlich eine Herausforderung darstellt.
Link zu den Alterseinstufungen der FSK:
http://www.spio.de/index.asp?SeitID=18
Literaturtipp für medienpsychologisch interessierte Eltern:
Patty M. Valkenburg: Children‘s Responses to the Screen. A Media Psychological Approach. Routledge 2004
Weitere Informationen zu diesem Film finden Eltern und Pädagogen auf kinofenster.de.
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Dieser Film hat von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) das Prädikat
„wertvoll“ erhalten. Die Begründung finden Sie hier.
Die FBW wurde 1951 als gutachterliche Einrichtung aller Bundesländer gegründet.
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