Die Hüterin der Wahrheit – Dinas Bestimmung
Dina besitzt die Gabe ihrer Mutter: Sie ist eine Beschämerin. Blickt sie einem Menschen direkt in die Augen, so sieht sie, wofür diese Person sich schämt – und auch die Person selbst ist gezwungen, diese Erinnerungen zu sehen und sich den eigenen Gefühlen zu stellen. Es ist eine Gabe, die einsam macht: Fast jeder weicht Dinas Blick aus.
Beschämerinnen sind gefürchtet und geachtet zugleich, denn zuweilen wird ihre Hilfe gebraucht, um die Wahrheit über bestimmte Ereignisse herauszufinden. So auch an dem Morgen, als Dinas Mutter zur Festung Dunark berufen wird, wo ein schreckliches Verbrechen stattgefunden hat: Der Burgherr Fürst Ebeneser ist ermordet worden, gemeinsam mit seiner hochschwangeren Frau und dem vierjährigen Sohn. Beschuldigt wird Nicodemus, Ebenesers Sohn aus erster Ehe und rechtmäßiger Erbe, der die Tat im Rausch begangen haben soll. Als Dinas Mutter Nicodemus für unschuldig erklärt, holt dessen Cousin Drakan auch Dina an den Hof. Schnell findet Dina heraus, dass Nico das Opfer einer Intrige ist. Ihre gemeinsame Flucht durch die Drachenhöhle ist erst der Anfang ihrer gefahrvollen Abenteuer....
Die Gabe, die beschämenden Erinnerungen anderer Menschen zu sehen – was für ein großartiger Einfall von Lene Kaaberbøl, der dänischen Autorin der Buchvorlage! Es ist nur allzu verständlich, dass sich Dina zunächst sehr einsam fühlt und ihre Gabe als Fluch empfindet, denn wer wird schon gerne an die schwachen und unrühmlichen Momente im eigenen Leben erinnert? Nicht minder großartig ist der Einfall, einen Antagonisten zu erschaffen, der so skrupellos ist, dass er für seine Verbrechen nicht einmal Scham empfindet und sich somit Dinas Einfluss entzieht. Je stärker der Gegenspieler ist, desto schwieriger ist es, ihn zu besiegen – und desto spannender schließlich die Geschichte. Schade nur, dass ausgerechnet bei einem wichtigen Wendepunkt kurz vorm Ende des Films die Handlungen der verschiedenen Figuren nicht ganz nachvollziehbar sind. Ansonsten trübt fast nichts das Vergnügen an dieser Verfilmung.
Wie es für Fantasystoffe typisch ist, spielt auch "Die Hüterin der Wahrheit" in einer mittelalterlich anmutenden Welt. Nicht nur die Drehorte sind toll gewählt und die Kostüme ebenso überzeugend wie die Spezialeffekte, auch die düstere Handlung trägt dazu bei, dass die Geschichte in sich stimmig ist. Hier sieht nichts nach einem „Verkleidungsmittelalter“ voll edler Ritter und adretter Bauersfrauen aus; in Dinas Welt geht es rau und dreckig zu, es gibt Armut und Gewalt, Machtgier und Schaulust. Dadurch wirkt die fantastische Erzählung ungeheuer realistisch und zieht einen mit ihrer packenden Atmosphäre sofort in den Bann!